Das Thema Work-Life-Balance ist gewiss nicht neu, sorgt aber im Zuge der Corona-Pandemie zwangsläufig für aktuellen Gesprächsstoff
COVID-19 zwang viele Organisationen, die der Idee der virtuellen Organisation bis dahin nur teilweise – oder auch überhaupt nicht – verpflichtet waren, zu Remote Working (Schuster et al., 2020). Einige Tools wie Zoom oder Microsoft Teams wurden feste Bestandteile unseres Lebens und fast jeder kennt die Videos im Internet, bei denen der eine oder andere Fauxpas (schreiende Kinder im Hintergrund, der Ehemann im Pyjama oder auch die Haustiere auf dem Laptop) in solchen Meetings passiert ist. Solche extremen Beispiele sind natürlich nicht bei jedem an der Tagesordnung – jedoch zeigen sie auf, dass die Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben in der jetzigen Situation eine nicht zu unterschätzende Herausforderung darstellt.
Natürlich hat Remote Working einige Vorteile für ArbeitnehmerInnen, darunter der die Zeitersparnis durch das Wegfallen der Fahrt ins Büro (Songsangyos & Iamamporn, 2020) sowie die Zunahme der eigenen Autonomie, was den räumlichen und zeitlichen Kontext der Arbeit angeht (Breaugh & Farabee, 2012). So hat man mehr Zeit für die Familie oder für die eigenen Hobbys oder kann sie zumindest besser einteilen. Viel schwerwiegender sind jedoch die Auswirkungen, wenn die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit nicht klar abgesteckt werden.
„Always on“ – die Verschmelzung von Arbeit und Freizeit
Vor der Pandemie waren die Fronten besser verteilt und es gab diverse Möglichkeiten, Arbeit und Freizeit voneinander abzugrenzen. Einzelne ArbeitnehmerInnen gehen mit dieser Abgrenzung jedoch auch sehr unterschiedlich um – Kossek (2016) unterscheidet hierbei zwischen den zwei Gegenpolen der Separatoren und der Integratoren: Separatoren trennen Arbeit und Freizeit deutlich voneinander, sie checken beispielsweise nicht ihre E-Mails, wenn sie zu Hause oder im Urlaub sind, und gehen auch nicht ran, wenn das Firmenhandy klingelt. Integratoren hingegen tun so ziemlich das Gegenteil: sie lassen dabei die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwinden. Beide Formen der Trennung können grundsätzlich Sinn ergeben, wenn den Beteiligten ihr Verhalten bewusst ist und sie ihr Verhalten unter Kontrolle haben – oft genug werden sie jedoch in diese Rollen hineingezogen – durch KollegInnen, Führungskräfte und implizite Normen der jeweiligen Organisation. Dies führt dann zu Problemen, denn Ausgleich und Abgrenzung zur Arbeit gelingen nur ungenügend.
In der momentanen Situation kommt erschwerend hinzu, dass die Umstellung auf Remote Working während der Pandemie die unfreiwillige Transformation der Separatoren zu Integratoren befeuert: Nun muss die Arbeit oft zwangsläufig zu Hause erledigt werden – wo sich auch die anderen Mitglieder der Familie befinden: Die Ehefrau arbeitet ebenfalls von zu Hause und versucht, ein ruhiges Zimmer für ihre nächste Videokonferenz zu finden, während die Kinder, die ja ebenfalls auf „Homeschooling“ umgestellt worden sind, den Herausforderungen des digitalen Schulalltages zu begegnen versuchen, bevor sie sich dann nach dem Mittagessen erkundigen, das irgendwo zwischen zwei Excel-Tabellen fertig gestellt werden muss.
Dies wird von einem Phänomen verstärkt, was Cameron et al. (2013) Illusion der Zeitelastizität nennen: Andere Mitglieder des Haushalts neigen nämlich oftmals dazu, die zu Hause verbrachte Zeit als für den Haushalt einsetzbar zu sehen, ohne dass die eigentliche bezahlte Arbeitszeit dadurch vermindert wird. Das ist jedoch ein Trugschluss, der die Produktivität von ArbeitnehmerInnen (oder wenn man sich dagegen wehrt, den Familienfrieden) massiv beeinträchtigen kann. Aber selbst, wenn man alleine lebt, stellt die Situation eine Herausforderung dar, denn auch die Gefahr der Ablenkung durch Freizeitaktivitäten ist daheim natürlich größer als im Büro.
Auch führt die rasante Ausbreitung und nahtlose Integration mobiler Kommunikationstechnologien in den Arbeitsalltag zu einer „always on“ Mentalität (Kossek, 2016), die früher nicht möglich gewesen wäre und die durch Push Notifications weiter intensiviert wird. Auch sind durch diesen Trend einzelne Arbeitspakete zwar schneller zu erledigen, diese nehmen jedoch dadurch auch quantitativ zu, denn warum sollte man – im Sinne des Arbeitgebers – weniger Aufgaben erledigen, als dies eigentlich möglich wäre? Wenn aber die einzelnen Aufgaben (Mails beantworten, Tabellen erstellen, Präsentationsslides erstellen, Texte proofreaden) zunehmend kleiner werden, neigen wir auch dazu, diese nicht als Arbeit anzusehen und „mal eben zwischendurch“ zu erledigen – da wird mal eine Mail mit zwei Zeilen beantwortet, wenn man mit der Tochter spielt, oder ein Textbaustein geändert, wenn man eigentlich privat im Internet surfen wollte. Auch fühlen sich viele ArbeitnehmerInnen unter Druck gesetzt, wenn sie Mails oder Telefonate, die nach ihrer eigentlichen Arbeitszeit eintrudeln, nicht beantworten, was dann dazu führt, dass sie zwischen Arbeit und Privatleben hin- und herspringen. Diese Überschneidung von Arbeit und Privatleben führt nicht selten zu körperlicher bzw. emotionaler Erschöpfung bei den Beteiligten (Palumbo, 2020).
Wege zum gesunden und produktiven Remote Working
Was kann man nun tun, um die eigene Gesundheit zu bewahren bzw. das eigene Wohlgefühl zu verbessern, während man gleichzeitig produktiv bleiben muss und auch „Mensch“ bleiben möchte? Zunächst einmal sollte man vergegenwärtigen, dass soziale Distanzierung keine soziale Isolation bedeutet. Freunde und Bekannte zu kontaktieren, ist sogar zum Teil einfacher, denn im Büro ist es ja unter Umständen schwer, über private Dinge mit dem besten Freund zu reden, wenn die KollegInnen zuhören; in den eigenen vier Wänden ist man jedoch vor dem Lauschen sicher (außer es findet gerade zeitgleich ein Zoom-Meeting statt).
1.) Grenzen und Ausgleich schaffen
Schaffen Sie sich Grenzen, wenn es um Ihre Arbeitszeit geht und grenzen Sie Ihre Freizeit von Arbeit ab. Beschäftigen Sie sich mit Aktivitäten, die Ihnen Freude bereiten und von aktuellen Challenges Ihres Arbeitslebens ablenken. Denn auch zur Burnoutprävention ist es wichtig und sinnvoll, ein abwechslungsreiches und vielfältiges Leben zu gestalten – so weit es eben in der momentanen Situation geht.
2.) Routinen sollten zur Routine werden
Ein wichtiger Punkt, der bei vielen ArbeitnehmerInnen zu kurz kommt, ist die Schaffung von Routinen und eine adäquate Selbstorganisation im Home Office (Lopez-Leon et al., 2020). Es ist essenziell, die durch die neuen Arbeitsbedingungen entstandene Flexibilität nicht mit völliger Routinelosigkeit gleichzusetzen, denn Routine ist der Schlüssel zu mehr Selbstorganisation und Produktivität. Die eigene biologische Uhr spielt hierbei eine Schlüsselrolle (Heyde et al., 2018) – achten Sie also darauf, jeden Tag zur gleichen Uhrzeit aufzustehen und schlafen zu gehen. Dies kann ungeahnte positive Auswirkungen auf Ihre Laune, Ihre Konzentration und Ihre Produktivität haben. Probieren Sie es doch mal aus!
3.) Die Macht des Arbeitszimmers
Auch ein eigenes Arbeitszimmer (oder ein „abgesteckter Bereich“ innerhalb eines beliebigen Zimmers) kann helfen, Grenzen zu schaffen und die eigene Produktivität zu erhöhen. Hier lässt sich auch etwas Routine einbinden: Wenn sie zu einer festgelegten Uhrzeit den Arbeitslaptop ausschalten und dann das Arbeitszimmer verlassen, kann dies helfen, damit Sie nicht ungewollt zu einem Integrator werden und es schaffen, Berufliches von Privatem zu trennen, auch, was die Arbeitszeit und den Arbeitsort (zumindest im eigenen „microenvironment“) anbelangt. Auch separate Geräte wie ein Arbeitslaptop oder ein Arbeitshandy können hier hilfreich sein (Kossek, 2016).
4.) Organisation ist die halbe Miete
To-Do-Listen und die Vermeidung von Multitasking können sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, den Überblick zu behalten und effizient zu arbeiten (Lopez-Leon et al., 2020). Beides lässt sich sogar geschickt miteinander verknüpfen: Wenn Ihnen beim Erledigen einer Aufgabe einfällt, dass Sie auch noch etwas anderes Erledigen müssen, schreiben Sie sich das auf Ihre Liste und setzen Sie dann die ursprünglich begonnene Aufgabe fort. Switchen Sie nicht zwischen Aufgaben hin und her – das hält Sie länger frisch und konzentriert. Wenn Sie auch einen Terminplan führen, planen Sie etwas mehr Zeit ein, als Sie es zunächst für notwendig halten – denn man neigt generell dazu, sich selbst zu überschätzen oder Dinge, durch die die eigene Arbeit unterbrochen werden könnte, nicht zu berücksichtigen.
5.) Digitales auch für die eigenen sozialen Kontakte nutzen – aber mit Abgrenzung
Zu guter Letzt sollte bei all der Selbstoptimierung auch Ihr Sozialleben erhalten bleiben – soweit es eben geht. Verbinden Sie sich digital mit Ihren Freunden, nutzen Sie die technologischen Möglichkeiten, von denen Sie auch in Ihrer Arbeit profitieren: Zoom, FaceTime, Skype – so können Sie mit Ihrer Familie und Ihren Freunden in Kontakt bleiben (American Psychiatric Association, 2020). Nutzen Sie hierfür nach Möglichkeit eigens designierte Arbeitspausen und lassen Sie sich nicht einfach in Ihrer Arbeit dafür unterbrechen.
Unsere psychische Gesundheit wird durch die Pandemie, die damit verbundene Unsicherheit sowie die Adaptation von Organisationen und ArbeitnehmerInnen in einem bisher kaum vorhandenen Maß herausgefordert. Daher ist es wichtig, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen – sowohl physisch als auch mental. Sich auf die Prioritäten zu fokussieren ist nicht nur in der Arbeit wichtig – die eigene Gesundheit sollte oberste Priorität haben, wenn es darum geht, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit abzustecken. Gleichzeitig ist jedoch auch eine Menge von Disziplin vonnöten – denn Gesundheit zu erhalten, heißt nicht, immer die bequemere Option zu wählen. Das Vermeiden bzw. Minimieren von Social-Media-Nutzung gehört für viele zu den unbequemen Optionen, ist aber essenziell, um die selbstgezogenen Grenzen aufrechtzuerhalten und zu festigen. Nehmen Sie sich die Zeit, Ihre eigenen Regeln aufzustellen. Dazu gehört auch, unsere Vorschläge hinsichtlich ihrer Eignung für Ihr Leben zu hinterfragen – denn nur ein bewusster Mensch ist ein gesunder Mensch.
Referenzen
- American Psychiatric Association. (2020). Working Remotely During COVID-19:Your Mental Health & Well-Being. In American Psychiatric Association.
- Breaugh, J. A., & Farabee, A. M. (2012). Telecommuting and flexible work hours: Alternative work arrangements that can improve the quality of work life. In Work and Quality of Life: Ethical Practices in Organizations (pp. 251–274). Springer Netherlands. https://doi.org/10.1007/978-94-007-4059-4_14
- Cameron, S., Cameron, S., & Fox, M. (2013). Working from Home: Leisure Gain or Leisure Loss? In Handbook on the Economics of Leisure. Edward Elgar Publishing. https://doi.org/10.4337/9780857930569.00014
- Heyde, I., Kiehn, J. T., & Oster, H. (2018). Mutual influence of sleep and circadian clocks on physiology and cognition. In Free Radical Biology and Medicine (Vol. 119, pp. 8–16). Elsevier Inc. https://doi.org/10.1016/j.freeradbiomed.2017.11.003
- Kossek, E. E. (2016). Managing work–life boundaries in the digital age. Organizational Dynamics. https://doi.org/10.1016/j.orgdyn.2016.07.010
- Lopez-Leon, S., Forero, Di. A., & Ruiz-DIáz, P. (2020). Recommendations for working from home during the COVID-19 pandemic (and beyond). In Work (Vol. 66, Issue 2, pp. 371–375). IOS Press BV. https://doi.org/10.3233/WOR-203187
- Palumbo, R. (2020). Let me go to the office! An investigation into the side effects of working from home on work-life balance. International Journal of Public Sector Management, 33(6–7), 771–790. https://doi.org/10.1108/IJPSM-06-2020-0150
- Schuster, C., Weitzman, L., Sass Mikkelsen, K., Meyer-Sahling, J., Bersch, K., Fukuyama, F., Paskov, P., Rogger, D., Mistree, D., & Kay, K. (2020). Responding to COVID-19 through Surveys of Public Servants. Public Administration Review, 80(5), 792–796. https://doi.org/10.1111/puar.13246
- Songsangyos, P., & Iamamporn, S. (2020). Remote Working with Work-life Balance. 9(2), 85–88. Link
Autor
Dr. Bence Szasko
ehem. Mitarbeiter WorkPlaceHealth
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